Wohnungslos in Bremen – Vorfahrt für die eigene Wohnung
In Bremen leben viele Menschen auf der Straße. JedeR von uns kann dies täglich sehen, insbesondere bei einer Einkaufstour durch die Innenstadt.
Wohnungslosenpolitik hat in den vergangen Jahren in Bremen parlamentarisch so gut wie keine Rolle gespielt. Das ergab eine Recherche von mir in den Archiven der Bremischen Bürgerschaft. Dabei stellte sich heraus, dass in den letzten beiden Legislaturperioden im Plenum der Bremischen Bürgerschaft keine einzige Debatte zu diesem Thema stattgefunden hat. Warum ist das so?
Wohnungslose Menschen, sogenannte Obdachlose, haben in unserer Gesellschaft keine Lobby. Ich sehe deshalb eine besondere Verantwortung bei uns Politikerinnen und Politikern sich um das Thema Wohnungslosigkeit zu kümmern. Wir Grünen halten es gerade deshalb wichtig, auch für diejenigen Politik zu machen, die ihre Interessen im politischen Prozess nicht artikulieren können. Oder um es mit John Rawls zu sagen: Parteinahme für die Schwächeren.
Wo stehen wir zurzeit in Bremen? Wir haben in Bremen u.a. eine Zentrale Fachstelle Wohnen, die Beratung für Wohnungslose vorhält; mit dem Isenbergheim, dem Adalenstift und dem Jakobushaus haben wir große stationäre Einrichtung, die langfristig ehemals Wohnungslose Menschen betreuen. Und es gibt in Bremen ein sogenanntes Übergangswohnheim, Notunterkünfte für Frauen und Männer, und offene Türangebote. Was es aber so gut wie gar gibt, sind Angebote zur wohnbegleitende Unterstützung je nach individuellen Bedarf in ganz normalem Wohnraum.
Befragt man jedoch alleinstehende Wohnungslose, dann geben ¾ (ca. 73%) der Befragten an, dass sie sich eine eigene Wohnung für sich, eine 2. Person oder eine Familie wünschen. 12% sind bereits mit einer Wohnung versorgt. Nur 10% wollen in einer stationären Einrichtung leben. Die Wünsche Wohnungsloser stimmen nicht mit den in Bremen vorgehaltenen Unterstützungs- und Hilfesystem überein.
Grüne Wohnungslosenpolitik legt den Vorrang auf dem Erhalt der eigenen Wohnung. Für Menschen, die Ihre Wohnung bereits verloren haben, ist eine zeitnahe Vermittlung in eigenen Wohnraum erforderlich. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, brauchen wir in Bremen mehr dezentrale Unterbringung von ehemals Wohnungslosen in Einzelwohnungen. Bei Bedarf soll eine intensiv wohnbegleitende Hilfe gewährleistet werden.
Deswegen hat die grüne Bürgerschaftsfraktion am 16. Juni 12 zu einem Fachgespräch mit dem Titel “Vorrang für die eigene Wohnung” – “Zur Zukunft der Wohnunglosenpolitik” in das Haus der Wissenschaft eingeladen. Zum Fachgespräch war Herr Dr. Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) Bremen eingeladen, um die neusten Erkenntnisse aus der Wissenschaft zum Ansatz “Housing First” dar zustellen. Da die Städte Duisburg und Herford gute Erfahrungen beim Umbau der Wohnungslosenhilfe gemacht haben, konnten wir Jutta Henke von der Diakoniestiftung Herford und Herrn Roland Meier vom Diakoniewerk Duisburg gewinnen, um von den positiven Erfahrungen in Ihren Städten zu berichten.
Das eine vollständige Ambulantisierung der Wohnungslosenhilfe möglich ist, zeigt das Beispiel aus Duisburg. Hier wurde zum Beispiel eine große zentrale stationäre Einrichtung “Das Haus am Hafen” in Wohnprojekte umfunktioniert. Ehemals wohnungslose Menschen leben hier jetzt selbständig mit eigenen Mietverträgen in ihren Wohnungen. Duisburg hat zudem als Kommune über einen langen Prozess hinweg mit wenig Haushaltsressourcen ihr gesamtes Hilfesystem für Wohnungslose umgestellt. Herr Meier vom Diakoniewerk Duisburg erzählte ermunternd, dass selbst bei einer budgeneutralen Umstellung des Hilfesystems die Unterstützungsangebote für Wohnungslose besser geworden sind und selbst noch Geld zurückfließen würde.
Herford hat in einen ressort- und trägerübergreifenden Prozess initiiert, der vier Jahre andauerte, um ein umfassendes Konzept zur Verbesserung des Gesamthilfesystems der Wohnungslosenhilfe zu entwickeln. Viele Ressorts, also Soziales, Inneres, Gesundheit, Arbeit bzw. die Arge-Jobcenter und alle Träger haben sich an einen Tisch gesetzt, um das Hilfesystem für Wohnungslose auf bessere Beine zu stellen. Der Schlüssel zum Erfolg war hier ein parteiübergreifender erklärter Wille und ein klares Ziel: Jeder Mensch braucht eine eigene Wohnung. Niemand soll auf der Straße leben müssen. Für jeden Wohnungslosen gibt es nur einen Ansprechpartner, der durchweg auf den Weg in die eigene Wohnung unterstützt wird. Beide Städte haben – ob nun mit zwischendurch stationär, teilstationär oder ambulanter Hilfe- für alle ehemalsWohnungslosen ein eigene Wohnung mit eigenem Mietvertrag.
Der Vortrag von Herrn Dr. Volker Busch-Geertsema bestärkt unsere grünen Positionen durch Forschungsbelege. Je nach Studie konnte belegt werden, dass zwischen 78-90 % der Anteil der Langzeitwohnungslosen mit komplexen sozialen und gesundheitlichen Problemen, die Wohnraum in Housing-First-Projekten erhielten, langfristig erhalten werden konnten.
2 Comments
Hallo Herr Pelz,
wir reden hier über wohnungslose Menschen, nicht über die anderen Personengruppen, die sie hier benennen. Ich bitte sie um einen differenzierten Blick. Die Innere Mission macht intensiv begleitetes betreutes Wohnen für wohnungslose Menschen, aber das tut Sie stationär. Nicht ambulant. Es geht doch darum, dass die Menschen aus der Abhängigkeit heraus kommen können. Und das heißt doch, dass Sie einen eigenen Mietvertrag benötigen. Persönlichen Hilfen und Mietvertrag aus einer “anderen Hand” macht abhängig. Das ist doch der Witz an der Sache: Die Trennung von Wohnungsangebot (Mietverträgen) und persönlicher Hilfe. Seit mindestens acht Jahren hat sich hier parlamentarisch niemand um sog. Obdachlose und die Verbesserung ihrer Lage gekümmert.
Mein Auftrag als Abgeordnete ist es, politische Ziele vorzugeben und durchzusetzen, nicht Feldforschung zu betreiben. Zudem handelt unsere grüne Fraktion auf der Basis des Regierungsprogramms, das wir mit unserem Koalitionspartner SPD geschlossen haben. Vielleicht schauen Sie da ja mal rein? …. dezentral ….
“Was es aber so gut wie gar gibt, sind Angebote zur wohnbegleitende Unterstützung je nach individuellen Bedarf in ganz normalem Wohnraum.”
Unsinn! Schauen Sie sich doch einfach einmal die vielfältigen Bremer Angebote des “Ambulanten Betreuten Wohnens” für Obdachlose, für ehemalige Straffällige, für Jugendliche, für Frauen, für ehemalige Drogenabhängige, für AIDS-Betroffene, für Psychisch Kranke, für Behinderte usw. an… Nicht erst mit dem Auftauchen Ihrer Partei in der Sozialpolitischen Bremer Landschaft gilt hier der Grundsatz: Ambulant vor stationär! Mein Tipp: Stellen Sie doch bitte nicht nur die Sozialsenatorin, die ich sehr verehre, sondern machen Sie doch auch einmal “Sozialpolitische Feldforschung”. Uli Pelz, Pusdorf