Zehn Jahre Hartz IV – Zeit aus den Fehlern zu lernen!
Heute vor 10 Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in der Geschichte der Bundesrepublik gelegt: Die Agenda 2010. Für viele von uns stellte die Einführung des Hartz IV Systems eine Zäsur in Hinblick auf Armut dar, eine Zäsur deshalb, weil durch Hartz IV das Grundrecht auf eine menschenwürdige Grundsicherung nicht gewährleistet ist. Hier findet ihr mein ausführliches Statement zur Kritik an der Ausgestaltung von Hartz IV und Grünen Forderungen für eine menschenwürdige Grundsicherung. Dieser Blog beruht auf einem Diskussionsbeitrag, den ich bei der sozialpolitischen Tagung der Bremer Grünen, am 22. September 2012, eingebracht habe.
*Von Hartz IV zur Grünen Grundsicherung
In den 1970iger und teilweise in den 1980iger Jahren zu Zeiten geringer Arbeitslosenzahlen wurden Arme noch mehrheitlich als Menschen angesehen, die um ihre Arbeit gebracht wurden. Menschen, die ein schweres Schicksal zu tragen hatten und aufgrund längerer Krankheit, Schwerbehinderung, oder vorübergehender Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt waren, hatten unsere Solidarität.
Im Zuge der Globalisierung und neoliberalem Zeitgeist waren plötzlich nicht mehr Arbeitslosigkeit sondern die Arbeitslosen das Problem. Wir alle erinnern uns an Aufkleber mit der Aufschrift „eure Armut kotzt mich an“, und von der medialen Hetze, die von Bild, Spiegel und Focus auf arme Menschen betreiben wurde. Stilisiert wurde ein mediales Bild von Sozialschmarozern, die ihr süßes Leben in der Hängematte verbringen und Steuergelder verprassen. Aus der Propaganda gegen arme Menschen wurde harte Politik. Bereits in den 1990igern wurde die damalige Arbeitslosenhilfe drastisch gesenkt, und pendelte sich auf dem Niveau der Sozialhilfe ein (u.a. mit dem Arbeitslosenreformgesetz 1997)
Im Jahr 2005 hat Rot-Grün im Bund Hartz IV eingeführt. Damit ist vor allem eins passiert, nämlich arme Menschen unter Generalverdacht zu stellen. Mit zu niedrigen Regelsätzen, Sanktionsregeln und Zumutbarkeit wurde suggeriert, dass Arbeitslose selbst Schuld seien, keine Arbeit zu haben.
Deshalb war die Grüne Zustimmung im Bund zu dieser Ausgestaltung des Hartz IV – Systems falsch. Ich betone im Bund! weil wir Grünen hier in Bremen uns gegen den zu niedrigen Regelsatz ausgesprochen haben. Und wir haben uns gegen die harten Instrumente der Agenda-Politik ausgesprochen, die soziale Bürgerrechte verwehren. Grüne im Bund haben damals zugestimmt. Wir waren ein schwacher Partner gegenüber der SPD. Zum Beispiel wollten wir die Einführung von Hartz IV an die Einführung des Mindestlohnes koppeln um Armutslöhne zu vermeiden. Durchgesetzt haben wir uns leider gegenüber der SPD nicht.
Zur Kritik an der Ausgestaltung von Hartz IV:
• Der 2005 festgelegte Regelsatz von345 Euro war damals schon zu gering, der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnete 2005 mit mind. 412 Euro. Zu gering ist der Regelsatz vor allem auch für Bedürftige mit Kindern. Das Kindergeld wird auf den Regelsatz angerechnet. In Zukunft soll auch das geplante Betreuungsgeld angerechnet werden. Beides sind schreiende Ungerechtigkeiten.
• Falsch war auch, dass wir unter Rot-Grün mit der Absenkung des Rentenbeitrags begonnen haben, mittlerweile ist der unter der jetzigen Bundesregierung gänzlich gestrichen, und wir wissen, das damit insbesondere Altersarmut forciert wird.
• An der wachsenden Zahl der Suppenküchen und Tafeln, am kostenlosen Mittagessen hier in Bremen bzw. das Ein-Euro-Essen in anderen Kommunen, und auch an öffentlichen und privaten Beihilfen, um den Schulbedarf für Kinder zu decken, ist ersichtlich, dass der Regelsatz zu gering ist.
• Dass der Regelsatz zu gering berechnet ist, und nicht verfassungskonform ist, hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 in seinem bahnbrechendem Urteil bestätigt.
• Verfassungswidrig war der Regelsatz, da er bis dato der Regelsatz an die Entwicklung des Rentenwerts gekoppelt war. Das hat die jetzige Bundesregierung wurde korrigiert, und der Regelsatz wird jetzt an die Entwicklung der Preise und der Nettolöhne gekoppelt. Deswegen gab es im September 2012 – also gerade jetzt- eine Erhöhung auf 8 Euro. Insgesamt liegen wir jetzt bei einem Regelsatz von 382,00 Euro für eine alleinstehende Person.
• Zu gering und nicht transparent ist der Regelsatz, weil die jetzige Regierung bei der Berechnung rumtrickst und verdeckte Arme und sog. AufstockerInnen (also Menschen, die nicht genügend haben und ergänzend staatliche Hilfe erhalten) mit in die Berechnung der Regelsatzhöhe einbezieht. Diese Rechnung reduziert den Regelsatz.
• Weiter wird der Regelsatz heruntergerechnet, indem den LeistungsempfängerInnen bestimmte Ausgaben als nicht existenznotwenig zugebilligt wird, z.B. Essengehen ist raus gestrichen, ebenso u.a. Geschenke, Zigaretten und Alkohol, Zimmerpflanzen.
• Auch nach dem Urteil im Februar 2011 hat die Bundesregierung keine richtige Regelsatzerhöhung vorgenommen, sondern sie hat stattdessen mit der SPD einen Kuhhandel betrieben. Der Kompromiss im Vermittlungsausschuss waren 3 Euro Hartz IV mehr. Dafür haben wir nun ein bürokratisches Monstrum namens Bildungs- und Teilhabepaket anstatt den Kinderregelsatz hochzusetzen oder den Kommunen Geld für Angebote zu geben, sowie wir Grünen es in den Verhandlungen gefordert haben. Die SPD hat Geld für 2 Jahre für SozialarbeiterInnen an Schulen rausgeholt. Dem haben wir als Grüne im Vermittlungsausschuss nicht zugestimmt, sondern wir sind aus den Verhandlungen ausgestiegen.
Sanktionsregeln:
• Zwang zur Arbeit und Zumutbarkeitsregeln sind falsche Instrumente. Gerade die Sanktionen machen den Menschen Angst, setzen sie seelisch unter Druck, dass führt dazu, dass viele erst gar nicht ihr Recht auf sozialstaatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Damit konterkarieren diese Instrumente ja geradezu die Idee der Integration in Erwerbsarbeit.
• Sanktionen sind falsch. Mit Ihnen zeigt sich ein paternalistischer Sozialstaat, der meint, er könne seine BürgerInnen zu richtigen Verhalten erziehen. Für mich ist das reine Abschreckungspraxis.
• Sanktionen führen dazu, dass auf die Defizite der Menschen geschaut wird, dass sie stigmatisiert werden. Die Idee des Förderns, ist auch im Gesetzt gut ausgestaltet ist, kommt in der Praxis aber so gut wie gar nicht zum Einsatz.
Was folgt daraus für uns Grüne in Hinblick auf eine menschenwürdige Grundsicherung? Was wir Grüne im Fall einer Regierungsbeteiligung nach der Wahl im Herbst 2013 umsetzen wollen:
• Wir Grüne sprechen uns für eine existenzsichernde Grundsicherung aus, die nicht nur materiell absichert, sondern auch soziale Teilhabe ermöglicht. Derzeitige Beschlusslage ist eine schrittweiße Erhöhung auf 420 Euro plus regelmäßige Anpassung an die Preisentwicklung.
• Insbesondere für Kinder und Jugendliche müssen die tatsächlichen Bedarfe deckt werden.
• Wie wollen die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns durchsetzen, denn mit diesem besteht die Chance, dass die Zahl derer, die von ihrem Lohn nicht leben können, reduziert wird. Dadurch sinkt auch die Zahl der AufstockerInnen (ergänzender Hilfebezug).
• Mindestlöhne sind auch die Voraussetzung dafür, dass wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz IV Empfängerinnen erhöhen können. Mindestlöhne sind also Bedingungen, da ansonsten nur staatlich subventioniertes Lohndumping zum Vorteil der Arbeitgeber ausgeweitet würde.
• Wie wollen die Bedarfsgemeinschaften abschaffen, denn diese benachteiligen die Frauen und zementieren ihre finanzielle Abhängigkeit von meistens männlichem Partner. Wir stehen für individuelle Rechtsansprüche. Gegenfinanzierung wollen wir diese Forderungen durch ein Abschmelzen des Ehegattensplittings.
• Wir wollen das Fördern stärken. Dabei müssen Hilfebedürftige das Recht haben, zwischen verschiedenen Maßnahmen zu wählen. Eigene Vorschläge müssen Priorität haben.
• Solange die von uns geforderten Änderungen bei der Förderung nicht umgesetzt sind, müssen –so die derzeitige Beschlusslage bei den Grünen – die Sanktionen ausgesetzt werden (Sanktionsmoratorium). Ich persönlich bin gegen Sanktionen und nicht nur für dessen Aussetzung. Unter der Prämisse, dass ausreichend Arbeitsplätze vorhanden sind, und die Förderpraxis individuell nach Wünschen und Fähigkeit agiert, tatsächlich Qualifikationsangebote bestehen, dann brauchen wir doch keine Sanktionen mehr.
• Wir wollen durch die Arbeitsmarktpolitik steuernd eingreifen, und zwar so, dass jeder von seiner Arbeit auch leben kann. Mindestlohn, Allgemeinverbindlichkeit von Tariflöhnen, die dann für alle Beschäftigten einer Branchen gelten, Mini-Jobs sozialversicherungspflichtig machen, Werkverträge eindämmen, Leiharbeit anständig regulieren, und meiner Meinung nach müssten LeiharbeiterInnen auch mehr Lohn als die Stammbelegschaft erhalten.
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