Warum wir in Bremen keine Enquete-Kommission zur Bekämpfung von Armut brauchen*

Rede Landtag November 2013

 

Anlässlich einer Debatte in der Bürgerschaft darüber, ob Bremen eine Expertengruppe (Enquete) braucht, um Armut zu bekämpfen, habe ich mich mit den Strategien des Senats über Armutsbekämpfung in Bremen auseinandergesetzt. Welche Stärken und Schwächen Bremen beim Thema Armut hat, könnt ihr hier nachvollziehen und mit debattieren:

(Es gilt das gesprochene Wort)

***

Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Damen und Herren,

Mit dem vorliegenden Antrag stellen wir fest: Die CDU-Fraktion hat das Thema Armut entdeckt. Nur neu ist das Thema nun wirklich nicht.

Der rotgrüne Senat hat in der letzten Legislatur einen ersten Bremer Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Dieser enthält nicht nur eine umfassende Analyse der Armutslagen in Bremen, sondern auch umfassende Maßnahmen. Das Entgegen-treten einer sozialen Spaltung unserer beiden Städte ist handlungsleitend für diese Koalition!

Armut hat dabei viele Facetten. Armut wirkt sich nicht nur durch geringe finanzielle Mittel aus. Armut erschwert die soziale Teilhabe; nicht nur wegen fehlenden Geldes  sondern auch fehlendem Zugehörigkeitsgefühl. Häufig geht materielle  Armut auch mit Bildungsarmut einher. Nicht zuletzt macht Armut krank, häufig auch psychisch.

Ganz selbstkritisch müssen wir aber feststellen, dass es uns – trotz der bisher ergriffen Maßnahmen – noch nicht gelungen ist die Schere zwischen Arm und Reich in unserem beiden Städten zu schließen. Auch die aktuelle gute konjunkturelle Entwicklung und die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt konnten daran kaum was ändern. Wir müssen deshalb unsere Anstrengungen verstärken. Wir müssen dabei auch genau hinschauen, welche Maßnahmen sich bewährt haben und welche gerade nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in ihrem Antrag bemängeln Sie das im Alltagsgeschäft der Politik die Debatten häufig stark verkürzt werden und häufig ideologisch geführt werden. Vielleicht ist aber nicht ideologische Verbohrung bei Einzelfragen das Problem, sondern ein unterschiedlicher Blick auf Armut und ihre Ursachen.

Lassen Sie uns einen Blick in den Armutsbericht der Schwarz-Gelben Bundesregierung werfen. Ich möchte an dieser Stelle nicht über das Ignorieren von Problemlagen via Streichung von Fakten aus dem Bericht reden. Dieses ist hinreichend diskutiert worden. Es geht mir um was anderes. Armut erscheint in dem Bericht der Schwarz-Gelben-Merkel-Regierung vor allem als individuelles Schicksal, welches je nach Lebensphase variiert. Damit wird ein zentraler Teil der Debatte – der über die strukturellen Ursachen von Armut – einfach ausgeblendet. Das ist für mich ideologische Verengung!

Das Armutsrisiko ist aber mitnichten gleich verteilt. Bevölkerungsgruppen wie Migranten, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Kinder, Jugendliche, Rentner oder Menschen mit Behinderungen haben ein deutlich erhöhtes Risiko von Armut betroffen sein. Es gibt also ein strukturelles Problem. Im Bericht der Bundesregierung spielt das kaum eine Rolle. Für uns in Bremen ist diese Tatsache von entscheidender Bedeutung.

Die erste Aufgabe, die wir haben, ist ein gemeinsames Verständnis von den Ursachen von Armut zu finden. Vorher ist es müßig über Prävention von Armut und Armutsbekämpfung zu streiten. Die Frage nach den Ursachen von Armut blenden Sie in Ihrem Antrag leider völlig aus.

Aber gut finde ich, Herr Röwekamp (CDU), dass sie hier heute die Sanktionspraxis bei den Arge-Job-Center ansprechen und zurecht kritisieren. Die Sanktionen sind hoch, über 500.000 im Jahr und ich hoffe, dass hier Bewegung reinkommt und auch die CDU im Bund die harten Sanktionen zurücknimmt.

In Bremen verfügen wir über eine ausgeprägte Expertise über die Armut in unseren Städten. Neben dem Armuts- und Reichtumsbericht des Senats gibt es auch zivilgesellschaftliche Akteure. Denen haben wir es zu verdanken, dass einen guten Kenntnisstand über die soziale Lage in Bremen und Bremerhaven gibt. Ich will hierbei insbesondere die Arbeiten der Arbeitnehmerkammer hervorheben. Deren Berichte arbeiten die sozialen Probleme der Stadt auf und legen den Finger in die Wunde.

Im Herbst nächsten Jahres wird der zweite Armuts- und Reichtumsbericht des Senats vorliegen. Lassen Sie uns dann hier im Parlament über diese Fragen diskutieren. Eng an den Fakten und ohne unnötige Verengung des Fokus. Niemand braucht dann auf Ideologie ausweichen!

Zu einer ehrlichen Analyse gehört aber auch die Frage, welchen Einfluss Landespolitik und die Politik in den beiden Kommunen tatsächlich auf Armutsrisiken haben und haben können. Eine gut bezahlte Arbeit ist der beste Schutz gegen Armut. Wenn sich aber die Bundesagentur für Arbeit nur auf arbeitsmarktnahe Klientel konzentriert, weil die schwarzgelbe Bundesregierung die Eingliederungstitel zusammen gestrichen hat, dann zeigt sich, dass die CDU keinen politischen Willen hat, Armut wirklich zu bekämpfen. Und wenn die schwarzgelbe Mehrheit sich einem gesetzlichen Mindestlohn und einer Bekämpfung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen verweigert, dann fehlt eine wichtige Unterstützung im Kampf gegen Armut!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lassen das alles aber nicht als Entschuldigung gelten, um das zu tun, was in unserer Macht steht. Hierzu einige Beispiele:

  • In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik haben wir mit einem Landesmindestlohngesetz dafür gesorgt, dass überall dort wo Bremen als Arbeitgeber oder Auftraggeber auftritt keine Löhne mehr unter 8,50 Euro mehr bezahlt werden. Bei der Wirtschaftsförderung haben wir soziale Kriterien eingeführt und sorgen so für bessere Arbeitsbedingungen. Ein Unternehmen, das in Bremen Unterstützung von der Wirtschaftsförderung erhält, darf ebenfalls keine Löhne unter 8,50 Euro zahlen. Und Arbeitsplätze, die nur mit Leiharbeitern besetzt werden, werden im Landesinvestitionsprogramm nicht mehr berücksichtigt.

Es verbleiben aber auch noch Bereiche in denen wir besser werden müssen. Noch immer ist es für viele Jugendlichen schwierig eine Lehrstelle zu finden und damit ein Fundament für ihr Berufsleben zu erhalten.

  • Bildung nimmt bei der Bekämpfung von Armut und deren Verfestigung eine Schlüsselrolle ein. Die verschieden Studien zu den Leistungen von Schülerinnen und Schülern, wie beispielsweise die PISA-Studien, führen uns immer wieder vor Augen, wie sehr der Bildungserfolg vom sozialem Status des Elternhauses abhängt. Diesen Zusammen aufzulösen oder zumindest abzumildern ist ein Schlüssel zu mehr Chancengerechtigkeit. Nur so können wir verhindern, dass Armut – wie es leider vielfach der Fall ist – vererbt wird.

Veränderungen durch Bildung brauchen aber ihre Zeit. Effekte können wir hier erst mittellangfristig erwarten.  Wir haben begonnen die notwendigen Weichen zu stellen. Mit der Schulreform und der Einführung der Sekundarschulen fördern wir das längere gemeinsame lernen. Wir haben nicht nur neue Ganztagsschulen eingeführt, sondern vor allem gebundene Ganztagsangebote gefördert. Es reicht nicht aus Kinder und Jugendlichen ganztägig zu betreuen. Nur mit einem ganzheitlichen pädagogischen Konzept und der notwendigen Verbindlichkeit können die Ganztagsschulen ihre positive Wirkung entfalten. Bei freiwilligen Angeboten und weniger Verbindlichkeit entfaltet sich diese positive Wirkung nicht, weil wir dann die Trennung zwischen Unterricht am morgen und Betreuung am Nachmittag beibehalten. In dieser offenen Form ist es nicht möglich, eine Pädagogik zu entwickeln, die doch gerade den Schülerinnnen und Schülern aus bildungsfernen Familien helfen.

  • Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, wird der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Solange Ihnen verboten ist, einer Erwerbsarbeit nachzugehen und ihren eigen Lebensunterhalt zu verdienen sind sie zwangsläufig von Transferleistungen abhängig. Ihre Armut ist damit strukturell festgelegt. Wir brauchen unbedingt eine Aufhebung des Arbeitsverbots. Bremen macht sich deswegen – jetzt aktuell – auf den Weg auch junge Flüchtlinge ausbilden. Ziel ist es, mindestens 20 jungen Menschen, die aus dem Kontingent der an Bremen zugewiesenen Flüchtlinge kommen, zu ermöglichen, eine Ausbildung etwa im kaufmännischen Bereich oder im Bereich der Medien- und Informationsdienste zu machen. Entsprechend des Vorschlags des Senats werden die 20 Plätze zusätzlich zum regulärem Bedarf bereitgestellt. Darüber hinaus hat der Senator für Inneres bereits im September 2013 einen Erlass herausgegeben, der unbegleitet minderjährigen Jugendlichen auch über ihre Volljährigkeit hinaus erlaubt ihre Ausbildung abzuschließen. Das ist ebenfalls ein wichtiger Schritt eine unsinnige Regelung abzuschaffen und jungen Menschen eine Perspektive zu ermöglichen.
  • Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor benachteiligt. Obwohl junge Frauen mit durchschnittlich höheren und besseren Schulabschlüssen zu Beginn des Berufslebens die besseren Startchancen haben, bleiben sie im weiteren Verlauf insbesondere in gut bezahlten Zukunftsbranchen  und zukunftsträchtigen Berufsfeldern, wie etwa der Umwelt-, Windenergie und der IT-Branche oder der Logistikwirtschaft ebenso wie in Führungspositionen noch immer deutlich unterrepräsentiert. Frauen verdienen im Bundesdurchschnitt 22% und im Land Bremen sogar 24% weniger als Männer.  Knapp ein Drittel der erwerbstätigen Frauen beziehen ergänzendes Arbeitslosengeld.

Im Rahmen der Arbeitsmarktförderung haben wir Programme aufgelegt die sich speziell an Frauen richten. Es gibt beispielsweise Programme für Alleinerziehende, Berufsrückkehrerinnen, für Frauen ohne Schulabschluss. Auch die Förderung niedrigschwelliger Angebote wie die Alleinerziehenden-Projekte der Mütterzentren in Osterholz-Tenever und in der Vahr leisten einen wichtigen Beitrag. Es gibt aber auch ein Chancengleichheitsprogramm, dass die Perspektiven von Frauen in zukunftsorientierten Branchen verbessern soll. Hier wollen wir Frauen ermuntern bei der Berufswahl verstärkt auch diese Branchen in den Fokus zu nehmen.

Eine besonders von Armut bedrohte Gruppe sind Alleinerziehende. Damit diese Frauen einer Erwerbsarbeit aufnehmen können, müssen Sie ihre Kinder in guten Händen wissen. Mit dem Ausbau der Betreuung für Kinder unter Drei Jahren, flexiblere und längere Öffnungszeiten in den Kindertagesstätten und den Ausbau der Ganztagsschulen schaffen wir damit die Voraussetzungen.

  • Bezahlbarer Wohnraum ist eine aktuelle und vieldiskutierte soziale Frage. Voraussetzung dafür, dass es zu keiner Verstärkung der sozialen Segregation kommt, ist, dass auch Menschen mit geringen Einkommen oder mit Sozialleistungsbezug ihren Wohnort frei wählen können. Das setzt bezahlbaren Wohnraum auch in den zentralen und beliebten Quartieren voraus.

Die Mieten sind bei den meisten Menschen der größte Ausgabenposten. Je höher die Mieten sind, desto weniger Geld bleibt zum Leben. Die rotgrüne Koalition hat deshalb den Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau beschlossen. Der Senat nutzt aber auch die gesetzlichen Möglichkeiten, um ein Anstieg der Mieten zu bremsen. Deshalb wird der Senat die Kappungsgrenzenverordnung auf den Weg bringen. Das bedeutet, dass aufgrund des angespannten Wohnungsmarkts die Möglichkeit der Vermieter zu Mieterhöhungen eingeschränkt wird. Anstatt die Miete innerhalb von drei Jahren um 20% bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen zu können, sind dann nur noch 15% in drei Jahren zulässig.

Vielfach bleibt uns aber auch nicht anders übrig, als mit den Folgen von Armutslagen umzugehen. Wir versuchen Quartiere zu stabilisieren, Hilfestellung für die Bewältigung des Alltages zu organisieren und letztlich den Menschen ein Leben und nicht nur ein Überleben zu ermöglichen. Hierzu einige Beispiele:

  • Das erste Beispiel ist die Steigerung der Mobilität von armen Menschen. Die rotgrüne Koalition hat in der letzten Legislaturperiode das Stadtticket eingeführt, dass den Empfängerinnen und Empfängern von Transferleistungen eine vergünstigte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ermöglicht. Über 10.000 Menschen nutzen das Ticket jetzt schon. Das Stadtticket ist ein Erfolg und wird deshalb fortgeführt.
  • Mein zweites Beispiel sind die Hilfen für wohnungslose Menschen. Wir wollen die Menschen schneller wieder in eigene Wohnungen bringen. Sofern die Wohnungslosen Hilfen brauchen, sollen sie diese ambulant in einer eigenen Wohnung erhalten. Übergangswohnheime mit einem stationären Wohntraining sind längst nicht mehr zeitgemäß. Wir werden deshalb das Übergangswohnheim schließen und den Ansatz housing first voranbringen.

Das alles sind alles große Herausforderungen. Wir können beständig besser werden und müssen uns beständig hinterfragen. Die Zielgenauigkeit der Maßnahmen verbessern. Erfolgloses durch erfolgversprechendes ersetzen und auch von guten Beispielen anderer lernen. Sicherlich gibt es auch noch viel Potenziale bei der Verknüpfung von Maßnahmen.

Aber für all dieses brauchen wir keine Enquetekommission. Es ist für uns selbstverständlich. Der Senat wird deshalb im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht die aktuellen Maßnahmen auf ihre Wirkungen auswerten und die gemachten Erfahrungen bei den neuen Vorschlägen berücksichtigen.

Mit dem Armut- und Reichtumsbericht und dem damit verbunden Verfahren zur Beteiligung der Fachöffentlichkeit und der politischen Gremien ist genug Raum vorhanden, um die notwendigen Debatten über Ursachen, Bekämpfung und Prävention von Armutslagen zu führen und entsprechend zu handeln. Eine Enquetekommission ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht erforderlich.

Die Bekämpfung von Armut kann nicht allein vom Sozialressort allein geleistet werden. Bei der Entwicklung und Umsetzung von ressortübergreifenden Strategien können wir noch viel besser werden. In jedem Ressort gibt es gute Maßnahmen, aber der notwendige nächste Schritt ist diese in einem ressortübergreifenden umfassenden Armutsprogramm für das Land Bremen zusammenzuführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns bei dem eingeschlagen Verfahren bleiben. Wir warten den Armuts- und Reichtumsbericht des Senats ab und setzten dann diese Debatte fort.

****

 

 

Posted by:

Susanne Wendland

Leave A Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked (required):

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Back to Top