Armut wird im Grunde vererbt – Aktuelle Stunde *Landtag 22.01.2014
In bin Bremerhaven-Lehe aufgewachsen, in einem Stadtteil, wo die materielle Armut wirklich wohnt. Das Wort „Chance“ kam da gar nicht vor. Im Grunde wird Armut vererbt. Das war damals schon so, und es ist so geblieben. Armut wird vererbt. Gesellschaftliche Schichten bleiben unter sich. Ganze Stadtteile sind auf dem Abstellgleis. Es hat sich so gut wie nichts verändert.
Die “Aktuelle Stunde” gilt als einer der Sternstunden des Parlaments. Armutsbekämpfung steht auf der Agenda – die größte Herausforderung, vor der Politik und Gesellschaft in Bremerhaven und Bremen stehen. Hier könnt ihr meinen Beitrag zur Aktuellen Stunde ” Armutsbekämpfung – Taten statt Worte”, welche die CDU beantragt hat nachlesen. Den ganzen Kontext. Ungekürzt. Oder euch aber meine Rede anschauen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Bremerinnen und Bremer,
Mit 12 Jahren bin ich mit meiner Mutter aus der ehemaligen DDR nach Bremerhaven gekommen. Groß geworden bin ich dort im Stadtteil Lehe. Lehe, dass war das Umfeld, wo ich jeden Tag Armut vor meinen Füßen hatte. In der Nachbarschaft. In der Schule, bei den Klassenkameraden.
In bin Bremerhaven-Lehe aufgewachsen, in einem Stadtteil, wo die materielle Armut wirklich wohnt. Das Wort „Chance“ kam da gar nicht vor. Im Grunde wird Armut vererbt. Das war damals schon so, und es ist so geblieben. Armut wird vererbt. Gesellschaftliche Schichten bleiben unter sich. Ganze Stadtteile sind auf dem Abstellgleis. Es hat sich so gut wie nichts verändert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unser Ziel ist Bekämpfung der Armut und Eröffnung von Wegen aus der Armut. Es freut mich, dass in diesem Hohen Haus niemand mehr die armen Menschen für das Problem hält und diese bekämpfen will. Dieser Konsens ist eine wichtige Grundlage, um über den besten Weg der Bekämpfung der Armut und ihrer Ursachen zu reden.
Armut ist die größte Herausforderung vor der wir in Bremen und Bremerhaven stehen. 23% der Menschen in unseren beiden Städten sind armutsgefährdet. Besonders betroffen sind Kinder. Jedes dritte Kind ist materiell arm.
Unser Ziel ist es, Menschen den Weg aus der Armut zu ermögli-chen. Daran müssen wir uns als Politik und als Gesellschaft mes-sen lassen.
Wenn wir uns diesem strengen Maßstab stellen, müssen wir an-erkennen, dass unsere bisherigen Aktivitäten und Maßnahmen nicht zum erwünschten Erfolg geführt haben. Wir Grüne, die inzwischen seit über sechs Jahren am Senat beteiligt sind, aber auch die Sozialdemokraten, die in Bremen seit Menschen gedenken an der Regierung sind müssen den Mut aufbringen, unser bisheriges Handeln sehr kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Wir müssen einräumen, dass wir unsere Ziele bisher nicht erreicht haben.
Aber das Thema fordert auch die Opposition. Die Auseinandersetzung mit Armut ist zu wichtig, um nur alle paar Monate hier im Haus die gleichen Debatten zu führen und wie ein Zuschauer von Sitzplätzen eines Fußballstadions alles besser zu wissen. Wir brauchen weiter eine ernsthafte und d.h. vor allem ein konstruktive Debatte. Wir müssen bereit sein neue Wege zu gehen und aus Fehlern zu lernen anstatt sie auszuschlachten. Herr Röwekamp, sie haben uns in der Novemberdebatte dargelegt, dass Sie ihre Ansicht zu Armut geändert haben. Wir nehmen sie beim Wort. Wir laden Sie ein, mit uns gemeinsam aktiv zu werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Liebe Bremerinnen und Bremer,
Bremen ist erneuerbar. Wir müssen die Bereitschaft aufbringen auf unwirksame Maßnahmen zu verzichten und neue Pfade auszuprobieren. Vor allem aber darf die Bekämpfung nicht an Ressortgrenzen enden. Armut ist nicht nur eine Angelegenheit des Sozialressorts, sondern des gesamten Senats. Es ist deshalb nur konsequent, dass Bürgermeister Jens Böhrnsen heute für den Senat diese aktuelle Stunde beschreitet.
Wer bei der Bekämpfung der Armut eine Schere im Kopf hat und nicht alle Möglichkeiten, die wir von der Bildungs- über die Wirt-schaft bis zur Sozialpolitik haben ein bezieht nimmt billigend in Kauf, das die soziale Schere in der Stadt weiter aufgeht.
Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen. Richten wir unseren Blick auf die Bildungspolitik. Noch immer hängt der Bildungserfolg maßgeblich vom Elternhaus ab. Kinder deren Eltern einen höheren Bildungsabschluss haben, haben bei gleicher Begabung ein viel größere Chance Abitur zu machen und zu studieren. Das ist ein Skandal. Diesen Zusammenhang zu knacken erfordert die Zusammenarbeit von vorschulischer Bildung, Schulen aber auch Einrichtungen der Jugendhilfe. Ressortegoismen sind hier fehl am Platz.
Ein großer Schwerpunkt unserer rotgrünen Koalition ist die Be-kämpfung von Kinderarmut. Jedes dritte Kind in Bremen ist ar-mutsgefährdet, bei Kindern von Alleinerziehenden ist es sogar jedes zweite. Sie haben deutlich weniger Möglichkeiten, am gesell-schaftlichen und Kulturellen leben teilzuhaben, werden dadurch in ihrer Entwicklung aufgehalten und haben folglich später schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Bei der frühkindlichen Bildung und in den Grundschulen tun wir uns noch immer schwer, die unterschiedlichen Ausgangslagen wie zum Beispiel beim Spracherwerb auszugleichen. Frühkindliche Bildung kann Kindern gerade aus bildungsferneren Schichten ein Fundament für ihren weiteren Bildungsweg legen. Genau hier liegt der Schlüssel, um vererbte Armut aufzubrechen. Auf den Anfang kommt es an.
Damit die KiTa´s aber auch die Ganztagsschulen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen können, dürfen wir nicht in unseren Anstrengungen nachlassen. Auf lange Sicht gesehen sind Investitionen in Bildung der beste Weg einer Verfestigung von Armut entgegenzutreten. Wir dürfen dabei aber nicht den Fehler machen Bildung zu eng zu definieren. Bildung ist mehr als Schulunterricht. Gerade in der Vernetzung zwischen Kindergarten und Schule, gerade in der Öffnung dieser Institutionen für Angebote auch an die Eltern und gerade durch die Verknüpfung mit Angeboten der Berufsorientierung können wir unsere Ziele erst erreichen. Mit der Erfüllung des Rechtsanspruchs für unter Dreijährige wollen wir die Kinder möglichst früh abholen.
Der Dreh- und Angelpunkt für den Bildungserfolg, aber auch für die Teilhabe an Gesellschaft ist der Spracherwerb. Hier haben viele Kinder aus bildungsfernen Schichten – und nicht nur die von Migrantinnen und Migranten – Defizite. Wir setzten deshalb unsere Anstrengungen bei der Sprachförderung fort und müssen hier – auch finanziell – noch nachlegen. Wir Grüne setzen uns für eine durchgängige und aufeinander abgestimmte Sprachförderung in Grippe, Kita und Grundschule ein.
Den Ausbau der Kindertagesbetreuung wollen wir unter soziale Gesichtspunkte fortsetzen – durch gezielte Ansprache der Eltern in den sozialen Brennpunkten, damit diese ihre Kinder in die Krippe bringen. Wir wollen, dass Kitas Orte für die ganze Familie werden. Deswegen müssen die Kitas echte Kinder- und Familienzentren werden, worüber wie Eltern erreichen, denen Weiterbildung und Arbeit angeboten werden kann.
Wir sind bei der Bekämpfung von Kinderarmut grundsätzlich auf den richtigen Weg. Wir haben schon vieles Erreicht, dürfen aber nicht nachlassen. Sprachförderung, Ganztagsschulen und Quali-tätsverbesserung waren unsere Schwerpunkte im jüngst be-schlossen Haushalt. Um diese Anstrengungen zu verstärken wer-den wir aber zukünftig weitere Mittel brauchen.
Einen ganz bitteren Geschmack hat die Armut von Frauen, insbesondere wenn es sich um alleinerziehende Mütter handelt. Probleme bei der Kinderbetreuung erschweren den Zugang zum Arbeitsmarkt. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer für gleiche Arbeit. Auch die Wirtschaftsförderung und die Arbeitsmarktpolitik konzentrieren sich primär auf die Schaffung klassischer Männerarbeitsplätze.
Der beste Weg aus der Armut ist eine gut bezahlte Arbeit. Die Wirtschaftspolitik liefert hier einen wichtigen Beitrag. Die Schaf-fung guter Arbeit ist das Ziel unserer Wirtschaftsförderung. Min-destlohn und eine Begrenzung des Einsatzes von Leiharbeit sind inzwischen wichtige Kriterien bei der Vergabe von staatlichen Fördermitteln. Bei der kritischen Überprüfung unserer Maßnah-men, müssen wir uns aber auch hier der Frage stellen, ob wir nicht noch besser werden können.
Ist beispielsweise der geförderte Branchenmix richtig, den wir anstreben? Gibt es vielleicht andere – bisher zu wenig beachtete Felder – wo wir mehr Arbeitsplätze und vor allem bessere Arbeitsplätze schaffen können?
Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass wir Armut und Armutsgefährdung vollständig aus Bremen und Bremerhaven verbannen können. Auseinandersetzung mit Armut, heißt deshalb auch immer Abfederung der Folgen von Armut. Mit bezahlbaren Wohnraum, Wohnen in Nachbarschaften, präventiver Schuldenberatung, Stadtticket und Hilfe für Wohnungslose sind wir auf diesem Gebiet schon ziemlich gut.
Die Bekämpfung von Armut kann der Staat aber nicht alleine leis-ten. Ohne die Unterstützung von Zivilgesellschaft, Verbänden aber auch der Wirtschaft ist die Herausforderung nicht leistbar.
Sie alle leisten schon viele wichtige Beiträge, ohne die unsere Städte ein viel unsozialeres Gesicht hätte. Wir können und müssen aber noch besser werden.
Die erste Bremer Armutskonferenz war ein wichtiger Beitrag. Auf dieser Konferenz kamen alle wichtigen Akteure zusammen. Das Thema wurde in die Öffentlichkeit geschoben und bekommt jetzt den Stellenwert der notwendig ist, um die Probleme anzupacken.
Wir dürfen aber hier nicht stehe bleiben. Aus dem gemeinsamen Austausch, muss gemeinsames Handeln werden. Jens Böhrnsen und Anja Stahmann haben die Initiatoren der Armutskonferenz ins Rathaus eingeladen, um den Dialog fortzusetzen. Sie haben aber auch angekündigt ein breites Bündnis – auch unter Einbeziehung der Wirtschaft – ins Leben zurufen, um alle Kräfte gegen Armut zusammen zu holen. Wir freuen uns, dass die Handelskammer schon ihre Bereitschaft zur Mitarbeit angekündigt hat.
Gerade die Wirtschaft kann zur Armutsbekämpfung Beiträge liefern, die vom Senat nie kommen können. Dabei ist die Wirt-schaft mehr als nur die Handelskammer. Insbesondere die großen Arbeitgeber in Bremen, wie z.B. Daimler, Airbus, Astrium sind gefragt sich einzubringen und ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden.
Ein drängendes Problem ist der Übergang von der Schule in den Beruf. Nicht nur Jugendliche ohne Schulabschluss, sondern auch für welche mit Haupt- und Realschulabschluss ist es schwer eine Lehrstelle zu finden. Um diesen jungen Menschen einen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen, brauchen wir die verstärkte Unterstützung der großen Ausbildungsbetriebe. Hier könnten Ausbildungsverbünde sehr hilfreich sein. Diese Verantwortung kann nicht nur auf die kleinen Betriebe abgewälzt werden.
Aber auch bei Maßnahmen zu Erhöhung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und besonders der (Wieder-)Beschäftigung von Müttern brauchen wir die Wirtschaft als verantwortungsvollen Partner.
Wir reden schon längst nicht mehr nur über Armut, wie es der Titel der aktuellen Stunde suggeriert. Diese Regierung handelt entschlossen. Trotzdem zeigt sich deutlich, dass wir unsere Ziele noch nicht erreicht haben. Wir müssen deshalb unsere Ansätze weiter offen zur Diskussion stellen und kritisch überprüfen. Hier im Parlament, im Dialog mit den gesellschaftlichen Akteuren und im Rahmen des nächsten Armuts- und Reichtumsberichts.
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Nach dieser Debatte erfolgt im März die Einsetzung eines neuen Ausschusses zur Bekämpfung von Armut. Hier der Einsetzungsbeschluss des Parlaments, d.h., in diesem wird festgelegt, was in dem Ausschuss bearbeitet wird.
1 Comment
Sehr geehrte Frau Wendland,
wenn Sie die selbsterfahrene (Brhv. Lehe) Armut ihrer Jugend erwähnen und sich lobenswerterweise für Armutsbekämpfung in Bremen einsetzen, würde ich an ihrer Stelle vorsichtig mit dem Begriff Vererbung umgehen. Dass der Weserkurier das auch noch als Überschrift setzt, spricht nicht gerade für seriösen Journalismus. Diese (fatale) Verbindung von Armut und Vererbung haben nämlich die Nationalsozialisten und leider auch die dominierenden Wohlfahrtsverbände mit Randgruppen und “Asozialen” 1933-45 getan und mit dem Gesetz zu Verhütung erbkranken Nachwuchses 1934 (u.a. ähnlicher Gesetze)die Grundlage für ihre Vernichtung geschaffen, um den “gesunden deutschen Volkskörper zu schützen”. Wehret den Anfängen, die immer erst mal mit Ausgrenzungs- und Gewaltsprache beginnt. – Ich weiß, Sie meinen etwas anderes: die Folgen von Ghettoisierung, von fehlender Frühförderung, von ausgrenzenden Beschulungskonzepten. (das finnische Modell beweiset, dass es Alternativen gibt!). Aber das läßt sich z.B. nicht ändern, wenn Politik tatenlos zuschaut (oder sogar fördert?), wie Großinvestoren der Finanz- und Wohnungswirtschaft ungehindert Gentrifizierung vorantreiben können. Das wäre ein lohnendes und wirksames politisches Betätigungsfeld. Mit freundlichen Grüssen R. Bohnenberger (Dipl.Soz.-Päd.)